1. Allgemeines
  2. Über Kihon, Kata und Kumite...
  3. zur Geschichte des Karate springen...

 Allgemeines

Karate-Do Kanji

Kara = leer/unbewaffnet

 

Te = Hand

 

Dô = Weg im philosophischen Sinn
(Werdegang, Vervollkommnung)

Auch wenn umgangssprachlich meist von "Karate" gesprochen wird, heißt es eigentlich vollständig "Karate-Dô". Karate ist die Kunst, sich ohne Waffen zu verteidigen (Kara Te - leere Hand). Gleichzeitig betont Karate die Charakterentwicklung (Do - Weg des Sich-Entwickelns). Im Karate kann gelernt werden, wie man sich in einer Gefahrensituation am besten verhält, welche Techniken sich am besten auf Angriffe in bedrohlichen Situationen eignen und wo man am besten angreift. Statt roher Kräfte sind vor allem Geist, Schnelligkeit und Beweglichkeit gefragt. Karate beruht auf Respekt vor dem Anderen, auf Disziplin und dem Willen zu üben. Diese Grundlagen spiegeln sich auch in der Etikette des Karate wieder und sind damit unverzichtbar. Grundsätzlich kann Karate in nahezu allen Altersklassen erlernt, beziehungsweise praktiziert werden und ist für Menschen mit unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen geeignet.

Durch frühzeitige und nachhaltige Beschäftigung mit dieser fernöstlichen Kampfkunst können gerade Kinder und Jugendliche Charaktereigenschaften wie zum Beispiel Zielstrebigkeit, Teamgeist, Ausdauer, Selbstbewusstsein, aber auch Selbstbeherrschung entwickeln - Eigenschaften, die für den späteren erfolgreichen Lebensweg förderlich sind. So nennt zum Beispiel die WHO in ihrem "WHO information series on school health ; document 12"; 2007 explizit Karate als fördernd für den Schulsport und dort insbesondere für die Ausprägung grundlegender motorischer Fähigkeiten. So verstanden wird Karate schnell zu einer Art Lebensphilosophie und ständigem Begleiter.

Die Praxis

Das Karatetraining beruht im Wesentlichen auf der wiederholten Ausführung der Techniken (Stöße, Tritte, Schläge, richtiges Fallen, Hebel, Würfe) um diese immer mehr zu verbessern. Dabei wird der Trainingspartner nie verletzt sondern es handelt sich um ein "miteinander trainieren" anstelle eines "gegeneinander kämpfen". Der Schüler beginnt mit einigen wenigen Techniken (siehe Prüfungsprogramm), und versucht diese unter Anleitung des Trainers zu verbessern. Mit steigender Erfahrung kommen neue Techniken dazu, welche auch wieder verbessert werden wollen und so steht Karate ganz im heutigen Zeitgeist des lebenslangen Lernens.

Die Stilrichtungen

Es gab in der Geschichte des Karate viele Großmeister, die alle unschiedliche Ansichten davon entwickelt haben, wie Karate am effektivsten ist. Dadurch, dass diese Meister ihr Wissen wiederum an ihre Schüler weitergaben, entstanden über die Zeit große Stilrichtungen im Karate. Innerhalb dieser Stilrichtungen gibt es ebenfalls unterschiedliche Strömungen, welche je nach Meister variieren, jedoch immer gewisse stilrichtungsspezifische Grundprinzipien wahren. Die vier größten Stilrichtungen im Karate sind das Shotokan, das Wado-Ryu, das Goju-Ryu und das Shito-Ryu Karate. Diese Stile sind am meisten verbreitet und haben die meisten Schüler, die Karateka genannt werden. Die Bezeichnungen von Techniken, sowie viele Kommandos stammen aus dem Japanischen. In unserem "Karate Wörterbuch" sind die gebräuchlichsten Begriffe enthalten.

 

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Über Kihon, Kata und Kumite

Das Karatetraining besteht aus drei Säulen: der Kihon, der Kata und dem Kumite. Im Kihon, der "Grundschule" im Karate werden die Grundtechniken des Karate erlernt, die in der Kata oder abgewandelt im Kumite angewandt werden. Es wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass die Techniken präzise, schnell, kraftvoll und überzeugend wirken. Die Techniken werden immer wieder geübt, wobei es wichtig ist, dass die Bewegung technisch ganz exakt ausgeführt wird. Kihon ist die Grundvoraussetzung für das Fortschreiten im Karate.

Die Kata, auch Form genannt, ist eine Übungsform, die unmittelbar auf das Kihon aufbaut und wahrscheinlich die ursprünglichste Form Karate zu trainieren. Die Techniken, welche im Kihon trainiert wurden, werden hier in einer Form, also einem genau definierten Bewegungsablauf, im Kampf gegen einen imaginären Gegner angewandt. Somit kann die Kata zu einer Art "Waffenkammer" für den Karateka werden.

In unserer Stilrichtung gibt es "von Haus aus" acht Kata: die fünf Pinan Kata, Kushanku, Naihanchi und Chinto. Weitere Kata kamen später von Zeit zu Zeit aus anderen Stilrichtungen leicht abgeändert hinzu.

Dabei ist es die wohl interessanteste aber zugleich schwierigste Aufgabe des Karateka, die Kata so vorzuführen, dass der Ablauf der Kata überzeugend wirkt und an einen Kampf statt an einen Tanz erinnert. Hierbei ist die Körperbeherrschung sehr wichtig. Entscheidend für die Überzeugungskraft einer Kata sind Dynamik, Rhythmus, Balance, Krafteinsatz im richtigen Augenblick und die richtige Spannung im Körper. Dafür sind viel Konzentration und, wie schon gesagt, Körperbeherrschung wichtig, die dadurch auch im besonderen Maße trainiert werden. Nicht immer ist die Bedeutung der einzelnen Bewegungen, das Bunkai, gleich offensichtlich und oftmals kann eine Bewegung mehrere Bedeutungen haben, je nach Interpretation. Daher ist das Studium der Bedeutung jeder einzelnen Kata sehr komplex und vielfältig. Kata kann sowohl einzeln, als auch in der Gruppe vorgeführt werden. Wichtig beim Vorführen einer Kata in der Gruppe ist, dass alle Teilnehmer die Kata exakt synchron ausführen, und zwar ohne Einsatzzeichen, egal in welcher Form. Um dieses zu erreichen, muss die Gruppe sehr gut zusammenarbeiten. Kata schult somit die Zusammenarbeit im Team auf eine andere Art und Weise.

Im dritten Bereich, dem Kumite, wird anfangs mit genau definierten Angriffen und Abwehrtechniken der Kampf trainiert, was man auch "Yakusoku Kumite" (abgesprochener Kampf) nennt. Kumite ist also ganz allgemein die Übung eines Kampfes mit einem Partner. Später geht diese Form in einen halbfreien Kampf über, bei dem einige Techniken, zum Beispiel Abwehr- oder Kontertechniken, frei gewählt werden können, die Angriffstechniken jedoch vorgegeben sind. Als Beispiel dafür ist das Jiyu Ippon Kumite, der Kampf mit einem definierten Angriff, zu nennen. Die letzte und höchste Form ist schließlich der freie Kampf, das Jiyu Kumite. Dabei wird nicht mehr so viel Wert auf die Exaktheit der Techniken wie in der Grundschule gelegt, sondern viel mehr auf deren Effektivität und die Körperbeherrschung des Karateka. Dennoch muss die Technik als Karatetechnik erkennbar bleiben. Kumite im Karate ist KEIN Vollkontakt Kampf. Techniken müssen vor dem Auftreffen gebremst werden, sodass sie nur noch minimal den Körper des Partners berühren. Dennoch müssen die Techniken erkennbar bleiben, sowie mehrere Wertungskriterien erfüllen, wie etwa korrekte Distanz, kraftvolle Ausführung und Zanshin - der Zustand der absoluten Konzentration und Beobachtung des Gegners. Die Effektivität einer Technik im Training oder Wettkampf wird also nicht daran gemessen, wie viel Schaden die Technik anrichtet, sondern eher daran, wie gut der Technikausführende seine Technik beherrscht und kontrolliert. Daher sind gefährliche Techniken, die nur schwer kontrollierbar sind, verboten.

Die gesamte Fülle an Techniken des Karate, inklusive eines reichhaltigen Hebel- und Wurfrepertoire, werden mit zunehmendem Fortschritt im Karate in der Selbstverteidigung trainiert. Dort werden diese Techniken zum Schutz des eigenen Lebens eingesetzt und kontrolliert geübt - natürlich auch ohne Kontakt. Die Selbstverteidigung ist also gewissermaßen eine Art "Synthese" aus Teilen aller drei Säulen des Karate.

Alle Bereiche, Selbstverteidigung eingeschlossen, sind prüfungsrelevant. Kata und freies Kumite können auch im Wettkampf präsentiert werden.

Im weiter fortgeschrittenen Karate gibt es in unserer Stilrichtung außerdem Tantodori (Kampf gegen Angriff mit traditionellem Messer), Idori (traditioneller Bodenkampf im Seiza-Sitz) und Tachi Dori (Kampf gegen Schwertangriffe). Im Prüfungsprogramm für höhere Schwarzgurte werden auch diese Kategorien wichtig.

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Geschichte des Karate - von frühen Legenden bis zum Bekanntwerden in Deutschland

Allgemeines

Die Geschichte des Karate historisch korrekt wiederzugeben, ist äußerst schwierig, da so gut wie keine frühen Aufzeichnungen existieren bedingt dadurch, dass Karate lange auf Grund von strengen Repressionen nur im Geheimen und mündlich überliefert wurde. Tatsache ist wohl, dass Karate sich auf Okinawa entwickelt hat. Erste Andeutungen über eine waffenlose Kampfkunst auf Okinawa stammen aus dem 18. Jahrhundert. Der Begriff „Karate“ als solches, allerdings noch mit der ursprünglichen, sinngemäßen Übersetzung „Handtechnik aus China“ wurde im 19. Jahrhundert erstmals verwendet. Man nimmt an, dass Gichin Funakoshi, Begründer des Shotokan, „Vater des modernen Karate“ und Lehrer vom Wado-Ryu Begründer Hironori Ohtsuka, den Begriff Karate-Do, also „Weg der Leeren Hand“, 1929 prägte, nachdem die Bezeichnung Bedeutung „Leere Hand“ erstmals 1905 verwendet wurde.

Die Schwierigkeit, konkrete Aussagen über die Geschichte zu machen, liegt wahrscheinlich im Wesentlichen an drei großen Gründen. Erstens wurde Karate früher ab einem bestimmten Punkt nur noch im Geheimen und an ausgesuchte Schüler weitergegeben. Diese Geheimhaltung verbot es, Aufzeichnungen anzufertigen, da die Lehre dieser Kampfkunst unter Strafe stand. Zweitens war die Fähigkeit des Schreibens unter der okinawanischen Bevölkerung des 14.-17. Jahrhunderts kaum verbreitet, daher gibt es von möglichen Wurzeln unserer Kampfkunst keine Aufzeichnungen. Stattdessen setzte man auf eine Weitergabe von einem Meister zu einem oder mehrerer ausgewählte Schüler. Drittens wurde das Archiv des ehemaligen Königreiches Ryukyu 1945 bei der letzten großen Schlacht zwischen Amerikanern und Japanern auf Okinawa zerstört, was somit auch sehr viele alte Aufzeichnungen vernichtete. 12.500 Amerikaner und 250.000 Japaner ließen dabei ihr Leben – es war die einzige Landschlacht auf japanischem Boden. Daher sind die frühen Entwicklungen bis heute nicht vollständig geklärt. Aus demselben Grund gibt es auf Okinawa im Übrigen keine originalen historischen Gebäude mehr, da sie 1945 ebenfalls zerstört wurden. Viele historische Gebäude die man heute findet sind Nachbauten. Doch nun zur eigentlichen Entwicklung:

Frühe Legenden

Einer Legende zufolge reiste der buddhistische Mönch Daruma Taishi aus Südindien im 6. Jahrhundert zum chinesischen Kloster Shaolin. Dort begründete er den Ch’an (japanisch: Zen) Buddhismus. Angeblich unterwies er die Mönche in körperlichen Übungen, damit sie das lange Meditieren aushielten. So entstand das Shaolin Kung Fu, oder richtig „Quanfa“ – auf Japanisch Kempo. Aus dem Quanfa entwickelten sich viele andere chinesische Kampfstile und auch Karate sieht sich gerne als ein Produkt dieser Entwicklung, auch wenn das unter Historikern umstritten ist – es ist eben nur eine Legende.

Frühe Einflüsse auf Okinawa

Als Wiege des Karate gilt Okinawa – die Hauptinsel der Inselgruppe Ryukyu südlich der japanischen Hauptinsel Kyushu. Zu den Ryukyu-Inseln zählen 161 Inseln, die auf insgesamt ca. 1200 km verteilt liegen. Übersetzt bedeutet Ryukyu so viel wie „Tau im offenen Meer“ ein Hinweis auf das Aussehen der Inseln, die sich langgestreckt südlich von Kyushu bis hin zum Nordosten Taiwans erstrecken. Nur ca. ein Viertel der Inseln ist bewohnt und die größte Masse der Bevölkerung lebt heute auf der Insel Okinawa. Vor der Annexion durch Japan war diese Inselgruppe eigenständig und gehörte nicht zu Japan. Im 14. Jahrhundert unterhielt man rege Handelskontakte von Okinawa aus nach China, Japan, Korea und Südostasien. Nachdem 1350 die Kontakte zu China entstanden, zahlte Okinawa Tribut nicht mehr nur an Japan (seit 698/743) sondern auch an China. Durch die Kontakte entstanden erste okinawanische Siedlungen auf chinesischem Festland als Wohnmöglichkeit für Kaufleute und Studenten. Ab 1372 wurden chinesische Gesandte nach Okinawa geschickt und ab 1392 wurden auch chinesische Niederlassungen auf Okinawa gegründet. Man nimmt daher an, dass auf diesem Wege chinesische Kampfkunsttechniken nach Okinawa kamen, vor allem begünstigt durch kulturellen Austausch durch das Reisen von Gesandten, Studenten und die Handelsbeziehungen. Jedoch ist eben aus diesen Gründen auch nicht ausgeschlossen, dass andere damalige Systeme anderer Länder die Entwicklung der Kampfkunst auf Okinawa beeinflussten. Die Quanfa- oder Kempo-Techniken vermischten sich allmählig mit den okinawanischen Kampftechniken (Te) und das Tode/Okinawa-Te entstand. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Karate stammt wohl aus dieser Zeit. „Te“ (手) bedeutet so viel wie „Hand“, im Zusammenhang auch „Handtechnik“. Früher wurde Karate noch mit dem Schriftzeichen 唐 für Kara geschrieben, was im Kontext ein Verweis auf das China der Tang Dynastie (618-907 n. Chr.) ist, sodass Karate ursprünglich „Handtechnik aus dem Land der Tang“, also aus China, bedeutete. Erst später mit wachsendem Nationalismus in Japan wurde das erste Schriftzeichen durch 空 ersetzt, ebenfalls als Kara gesprochen, was übersetzt das heute geläufige „Leere“ bedeutet. Somit entstand die heutige Übersetzung „Leere Hand“.

von Aufständen und dem Waffenverbot

Die unterschiedliche wirtschaftliche Bedeutung und damit auch der unterschiedliche Wohlstand der einzelnen Ryukyu-Inseln führten immer wieder zu Unruhen und Aufständen in der Bevölkerung. Im Jahr 1429 einte der König Sho-Hashi die Inseln zu einem Königreich. Zum Friedenserhalt verbot er den Besitz von Waffen und verpflichtete die Fürsten zum Aufenthalt an seinem Hof, um sie kontrollieren zu können. Das Waffenverbot führte dazu, dass sich das Okinawa-Te in der Bevölkerung einer immer größer werdenden Beliebtheit erfreute und viele Meister reisten nach China, um dort Techniken zu lernen. Der König Sho-Shi erneuerte das Verbot 1479 während seiner Regierungszeit (1477-1526), von der man auch als „goldene Ära“ spricht, da sich Okinawa zu einem zentralen Warenumschlagsplatz der zahlreichen Handelsrouten von Südostasien hin zu China und Japan entwickelte.

Jagd nach Schwertern

Etwa 130 Jahre nach dem Erlass dieses Verbotes, im Jahr 1609, besetzte der Shimazu-Clan, ein japanisches Adelsgeschlecht, mit ca. 3000 Kriegern und Samurai Okinawa. Das Waffenverbot wurde verschärft und damit fielen auch Zeremonienwaffen und diverse Werkzeuge unter das Verbot. Man sprach vom „Katanagari“, der Jagd nach Schwertern, bei der sämtliche Waffen und verbotene Werkzeuge konsequent gesucht und konfisziert wurden. Das gipfelte darin, dass es teilweise nur noch ein Küchenmesser im Dorf gab, was an einem zentralen Ort befestigt und streng bewacht wurde. Diese Maßnahmen sollten, wie auch schon die von den Königen der Sho-Dynastie, Unruhen verhindern. Jedoch hatten die Samurai zeitgleich das Recht der „Schwertprobe“: es war ihnen auf Grund ihres Standes gestattet, ihr Schwert an Toten oder Verletzten und sogar an der einfachen bäuerlichen Bevölkerung zu "testen". Bedingt durch diese Willkür und dem Fehlen von staatlichem Schutz wuchs das Verlangen der Bevölkerung nach Selbstverteidigung immens und gewalttätige Unruhen auf Okinawa waren die Folge.

Etwa 20 Jahre später schlossen sich Meister des Okinawa-Te zu einem geheimen, gegen die Besatzer gerichteten, Bund zusammen und beschlossen, das Okinawa-Te nur noch an ausgewählte, vertrauenswürdige Personen weiterzugeben. Etwa zeitgleich entwickelte man in der bäuerlich geprägten Bevölkerung unterdessen aus Alltagsgegenständen, die für die Versorgung von Besatzern und Bevölkerung essentiell waren und daher nicht verboten werden konnten (Sicheln zur Reisernte und Ähnliches), eine Kampfkunst mit Waffen – das Kobudo. Zu Beginn wurden Kobudo und Okinawa-Te noch zusammen gelehrt, bis sie sich immer weiter trennten, da Okinawa-Te mehr und mehr zu einer Kunst für elitäre, ausgewählte Kreise wurde, weil sich nur wohlhabende Bürger eine Reise nach China zum Studium der Kampftechniken leisten konnten. Diese Reisen waren ab 1669 wieder möglich, da der König Sho-Tei unter anderem das Reiseverbot aufhob.

Effektivität wird immer wichtiger

Die spirituellen Wurzeln und mentalen Gesichtspunkte aus dem Quanfa gingen in dieser Entwicklung immer mehr verloren - Effizienz war die Hauptaufgabe der Techniken. So fand eine Selektion von Techniken statt: Techniken mit unnötigem Aufwand-Nutzen-Verhältnis wurden entfernt, zum Beispiel Fußtritte zum Kopf. Das ist eine mögliche Erklärung dafür, warum es in heutigen Kata auch keine hohen Beintechniken mehr gibt. Dennoch gab es ein großes Problem wenn man kämpfen musste: man trat, sowohl im Kobudo als auch im Okinawa-Te, schwer gepanzerten und bewaffneten japanischen Elitekriegern gegenüber. So war die Maxime nicht getroffen zu werden und bei der erstbesten Gelegenheit zuzuschlagen und den Gegner mit möglichst nur einem Schlag zu töten oder zumindest kampfunfähig zu machen. Dieses Prinzip nennt man „ikken hissatsu“. Daher kommt heute wahrscheinlich auch das teilweise immernoch in Medien und Film gern verbreitete Vorurteil, dass Karate die härteste Kampfkunst sei und sie als solche ausweglos aggressiver Natur ist.

Die Kunst muss geheim werden

Tatsache ist jedoch, dass die Besatzer auf Grund der Tödlichkeit des Okinawa-Te das Lehren dieser Kunst unter drastische Strafen stellten, was der endgültige Untergang des öffentlichen Unterrichts war und die Lehre komplett ins Geheime verdrängte. Dies und der Fakt, dass weite Teile der Bevölkerung nicht Schreiben konnten, führte dazu, dass man keine schriftlichen Aufzeichnungen über Okinawa-Te anfertigte – man wollte den Besatzern kein Beweismaterial liefern. Stattdessen gab man die Techniken ausschließlich mündlich vom Meister zum Schüler weiter. In Folge dessen bündelten die Meister Techniken in zusammenhängenden Abfolgen und kodierten diese anhand traditioneller Stammestänze, den „odori“. Es entstand ein strenges Schrittdiagramm, das „embusen“: die Geburt der Kata. So konnte man recht zuverlässig Menschen diese Kata üben lassen, ohne dass Außenstehende oder Anfänger den wahren Sinn durchschauten. Die Dekodierung, also die Aufklärung der darin enthaltenden Kampftechniken, erfolgte im Bunkai. Die Kata war daher das hauptsächliche Übungsmedium des Okinawa-Te. Diese Weitergabe im Geheimen sollte bis ins 19. Jahrhundert andauern.

Mit der Meijin-Restauration (1868-1912), die das Ende der Herrschaft der Togugawa-Shogune, damit auch des Samurai-Standes und der Japanischen Isolation einläutete, begann eine rasante Modernisierung und stärkere Anlehnung Japans an den Westen. Das Ryukyu-Königreich wurde aufgelöst, die Herrschaftsgewalt über Okinawa 1879 an den japanischen Kaiser abgetreten und Okinawa in den folgenden Jahren zur offiziellen 47. japanischen Präfektur erklärt, was bis heute so ist. Dieser gesellschaftliche Umbruch hatte zur Folge, dass sich die Menschen auf Okinawa den japanischen Lebensgewohnheiten anpassen mussten aber gleichzeitig japanische Unterstützung zur Lebensbedingungsverbesserung und Industrialisierung erhielten. Okinawa-Te konnte seit dem wieder verstärkt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Der Kommissar für Erziehung auf Okinawa bemerkte 1890 während einer Musterung eine Gruppe von Männern, die überdurchschnittliche körperliche Fähigkeiten aufwiesen. Auf Nachfrage erklärten sie, an ihrer Grundschule im Karate unterwiesen worden zu sein. Daraufhin beauftragte die Lokalregierung auf Okinawa den Meister Itosu Yasutsune (*1832, +1916) mit der Erstellung eines Lehrplanes. Er änderte einfache Pinan-Kata dahingehend ab, dass er ihnen die Technik und Methodik des Kampfes nahm und vorwiegend den Blick auf gesundheitliche Aspekte legte – Bewegung, Atmung, Spannung und Entspannung waren wichtiger als Effektivität. Nur seine „Uchi-Deshi“, die Haus- oder Meisterschüler wies er nach vielen Jahren des Trainings in die eigentliche Bedeutung der Bewegungen ein. Vielleicht war dies eine Art Schutzmechanismus gegen Missbrauch der Kampftechniken. 1902 wurde Karate offizieller Schulsport auf Okinawa und diente damit nicht mehr ausschließlich der Selbstverteidigung, sondern auch der Ertüchtigung.

Die "moderne" Kampfkunst entsteht und kommt nach Japan

Gichin Funakoshi (1868-1957), Meisterschüler von Itosu Yasutsune und Asato Yasutsune (1827-1906), begann mit einer Systematisierung des Karate auf Grundlage der Lokalstile Shorin-Ryu und Shorei-Ryu, beide benannt nach ihren Ursprungsstädten. Funakoshi fuhr mit der Einstellung seiner Meister fort, dass Karate auch charakterbildende Elemente beinhalte und widmete nahezu sein gesamtes Leben ganz der Verbreitung des Karate nach Japan und später auch nach Übersee unter dieser Prämisse:

Von 1906 bis 1915 bereiste Funakoshi mit seinen engsten Schülern ganz Okinawa und führte sein Karate der Öffentlichkeit vor. Durch Zufall war der damalige Kronprinz und spätere Kaiser Hirohito Zeuge einer dieser Vorführungen. Er war begeistert von der Vorstellung und lud Funakoshi ein, in Tokyo einen Vortrag über das Karate zu halten. So reiste Funakoshi 1922 nach Tokyo und sein Vortrag erfreute sich regen Interesses. So wurde er im Anschluss eingeladen, am Kodokan, dem ältesten Judo-Dôjô, zu lehren und Jigoro Kano, Begründer des Judo, überredete Funakoshi an seinem Dôjô zu bleiben. Das erste Buch über Karate erschien ebenfalls 1922, verfasst von Funakoshi. Sein erstes Dôjô gründete er 1924.

Wado-Ryu entwickelt sich

Auch im Jahr 1922 wurde Hironori Ohtsuka (1892-1982) Schüler von Funakoshi. Er war zu dieser Zeit bereits Großmeister im Ju-Jutsu und lernte daher schnell, sodass er bereits drei Jahre später zu Funakoshis Assistenten wurde. Er unternahm Anstrengungen, das Kumite, also die Partnerübungen, stärker in das Karate zu integrieren und zu diesem Zweck bediente er sich des Randori, des lockeren Kampfes, welches er aus dem Judo kannte. Den Schülern Funakoshis missfielen die Neuerungen. Funakoshi selbst stand jedoch stets hinter Ohtsuka. Dieser trennte sich 1930/1931 im Einvernehmen von Funakoshi, um fortan seinen eigenen Stil zu entwickeln. Sein Konzept wurde bereits 1934 als Stil anerkannt. Schließlich wurde 1939 das Wado-Ryu als erster japanischer Karate-Stil offiziell eingetragen.

Karate als Teil des japanischen Lebens

Über die Schulen gelangte Karate schließlich auch an die Universitäten, an denen zuvor bereits Judo und Kendo gelehrt wurden. Die alten okinawanischen Meister mussten diese Entwicklung hinnehmen und das okinawanische Karate war endgültig als „nationale Kampfkunst“ ganz Japans eingestuft.

Im Verlaufe der 1930er Jahre wurden der Karate-Gi und die hierarchische Einteilung in Kyu- (Schüler-) und Dan- (Meister-) Grade, auch mit der politisch motivierten Absicht stärkerer Gruppenidentität anhand einer Uniform und eines eindeutigen hierarchischen Systems, eingeführt. Die Gürtelfarben wurden aus dem Judo übernommen. Das wurde vielleicht auch durch den Wegfall der engen Meister-Schüler-Beziehung, wie sie zu Zeiten herrschte, als Karate im Geheimen unterrichtet wurde, nötig. Heute bietet sich auf jeden Fall der Vorteil, dass ein Trainer jederzeit sehen kann, welchen Entwicklungsstand der einzelne Schüler hat, ohne ihn genau zu kennen, was gerade auf großen Lehrgängen sehr hilfreich ist. Dennoch ist es auch heute noch unüblich im Karate einen Hakama, eine Art schwarzen Hosenrock, zu tragen wie es z.B. im Aikido der Fall ist. Der Hakama ist ein Symbol der Samurai, ein Symbol deren Werte und damit der ehemaligen Unterdrücker des Ursprungslandes des Karate. Hin und wieder findet man dennoch einen Hakama an einem Karateka auf förmlichen Anlässen zu Vorführungen.

Karate wird international. Entwicklung von der Kampfkunst zum Kampfsport

Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgte Funakoshi mit seinen Beziehungen zum Ausbildungsministerium dafür, dass Karate als Leibesertüchtigung und nicht als Kriegskunst eingestuft wurde. So durfte Karate auch nach dem Zweiten Weltkrieg zur Besatzungszeit fast nahtlos weiter ausgeübt und gelehrt werden.

Im Laufe der Besatzungszeit gelange Karate in den 1950ern und 60ern durch Amerikanische Soldaten in die USA und anschließend nach Europa. In den folgenden Jahren entwickelte sich Karate mehr und mehr von einer Kampfkunst hin zu einem Kampfsport mit Blick auf sportlichem Erfolg bei Wettkämpfen. Jedoch ist es auch heute noch möglich Karate als Kampfkunst zu betrachten und dementsprechend zu lernen. Denn für keine Graduierung sind Erfolge bei Wettkämpfen nötig.

Funakoshi und die meisten anderen alten Meister lehnten eine „Versportlichung“ und die zunehmende Institutionalisierung, damit auch die Spaltung in verschiedene Stile, im Karate streng ab. Hironori Ohtsuka schrieb in seinem Buch: „Man sollte vermeiden, dass man ein Budo beginnt, dessen Priorität allein im Wettkampf liegt und somit seinen sozialen Charakter verliert und das eigentliche Ziel missachtet. […] Die Art des modernen Budo liegt darin, Frieden und Wohlergehen bis zum Ende zu erreichen.“ (Zitat aus „Karate-Do“, 25. August 1970 von Hironori Ohtsuka, Übersetzung von Salvador Herráiz Embid)

Das erste europäische Budo-Dôjô eröffnete 1954 in Paris. Der deutsche Judoka Jürgen Seydel (1917-2008) kam auf einem Judo Lehrgang in Paris in Kontakt mit Meister Murakami, der im Karate bewandert war und lud ihn ein, in Deutschland zu lehren. Daraufhin entwickelten sich über die Zeit Karate-Unterorganisationen innerhalb der Judo-Verbände Deutschlands, die sich 1961 zum Deutschen Karate Bund, dem späteren Deutschen Karate Verband als offizieller Karate-Dachverband in Deutschland zusammenschlossen. Die größte Ausbreitung erfuhr Karate in Deutschland von 1970 bis 1990.

Auch das Kobudo geriet nicht ganz in Vergessenheit. Heute üben sich einige Karateka auch in einigen traditionellen Waffen (z.B. Bo, Tonfa, Sai und Kama) des Kobudo. Es gibt auch Dojos in Europa aber insbesondere auf Okinawa wo das Kobudo als eigene Kunst gelehrt wird.


 

In eigener Sache: diese Chronik der Karateentwicklung beruht auf ausführlichen Recherchen. Da sich dabei jedoch auch Fehler ergeben können oder neuere historische Untersuchungen zu anderen Ergebnissen kommen, würde ich mich freuen wenn Sie mir Ergänzungen oder auch eine Information über eventuelle Fehler zuleiten so Sie welche gefunden haben. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

 

Quellen:

Pelny, Frank (2007). „Ryukyu Kobudo Tesshinkan“. Norderstedt: Books on Demand GmbH

Bittmann, Heiko (2000). „Die Lehre des Karatedô“. Ludwigsburg: Verlag Heiko Bittmann

Funakoshi, Gichin. "Karate-Do. Mein Weg". Deutsche Übersetzung 2001. Kristkeitz Verlag

Ohtsuka, Hironori (1970). „Karate-Do“. deutsche Übersetzung. 1. Auflage 1997. Master Publications, Budo International Publ. Co., Rechte der dt. Übersetzung bei Kampfkunst International

deutsche Wikipedia-Artikel: „Karate“ und „Geschichte der Ryūkyū-Inseln“ mit Stand vom 29. September 2011

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