Selbstverteidigung

Selbstverteidigung gehört zum Karate einfach dazu. Wenn man bedenkt, dass Karate ursprünglich nicht als Sportart entwickelt wurde sondern als Verteidigungskunst, kommt man schnell zu dem Schluss, dass Selbstverteidigung neben der charakterlichen Entwicklung eines der obersten Ziele des Karate war und ist. Diese Seite wird dabei allerdings nicht näher auf technische Fähigkeiten wie Griffbefreiungen und Abwehrtechniken eingehen - das sind Themen die besser im praktischen Training aufgehoben sind. Hier wird im Folgenden auf die theoretische Seite der äußerst komplexen Selbstverteidigungsthematik eingegangen. Der Text und die darin empfohlenen Verhaltensweisen stellen kein Patentrezept dar. Vieles ist einfach Erfahrung die gesammelt werden muss, auch das Thema Selbstverteidigung an sich ist viel zu komplex um es komplett in Textform zu erfassen. Daher findet ihr im Folgenden einen Überblick über das Thema und bekommt einen Einblick in die Grundprinzipien und Verhaltensweisen der Selbstverteidigung.

1. Was ist Selbstverteidigung?

2. Vermeiden von Gefahrensituationen

3. Prävention und Deeskalation

4. Rechtliches zur "Notwehr"

5. Theorie der Technik

6. Art des Trainings

 

Was ist Selbstverteidigung?

Selbstverteidigung bezeichnet sämtliche Aktionen und Verhaltensweisen, die der Abwehr eines andauernden oder unausweichlichen Angriffes auf die seelische und körperliche Unversehrtheit eines Menschen dienen. Das Gesetz spricht von "Notwehr". Doch was ist darunter zu verstehen?

Wie bereits angedeutet handelt es sich bei dem was man landläufig "Selbstverteidigung" nennt, um eine hochkomplexe Thematik. Man kann prinzipiell folgende vier Bereiche unterscheiden:

  1. Prävention
  2. Deeskalation
  3. sich wehren
  4. Nachbereitung

Nun, das klingt ja erst einmal recht logisch. Doch ganz so einfach ist das dann aber doch nicht. Die einzelnen Komplexe sind ihrerseits recht schwierig, da es unmöglich ist sie unter realitätsnahen Bedingungen sicher zu üben. Vieles sind daher schlicht und ergreifend Erfahrungswerte oder aber auch das einfache Verinnerlichen von Gelerntem. Hier habe ich meiner künstlerischen Ader etwas freien Lauf gelassen - okay da diese nicht sonderlich stark ist, wurde es eher ein Mind Map, dass jedoch noch beliebig erweitert werden kann (zum Vergrößern auf das Bild klicken).

Mindmap zur Selbstverteildigung

Vermeiden und Erkennen von Gefahrensituationen

Nun bevor man sich dem Vermeiden von Gefahrensituationen widmen kann, muss man natürlich erst einmal wissen, was eine potentielle Gefahrensituation sein kann. Prinzipiell kann man das recht einfach zusammenfassen: alles bei dem wir ein mulmiges Gefühl haben, oder richtige Angst verspüren, ist in gewisser Weise eine Gefahrensituation mit der wir umgehen können müssen. Das mulmige Gefühl nach oder vor einem Bewerbungsgespräch z.B. ist eine Situation mit der ich umgehen können muss, die sich aber nicht vermeiden lässt. Jedoch sind hier gerade Situationen gemeint, die maßgeblich nicht von der Angst vor eigenen Fehlern, sondern aus Angst vor den (aggressiven) Reaktionen anderer herrühren. Dazu gehört z.B. die Atmosphäre in einer völlig überfüllten Kneipe, Disco oder der Weg der ungünstiger Weise durch eine dunkle Gasse führt. Neben diesen Beispielen könnte man noch viele weitere aufzählen, doch das sollte reichen um zu verstehen was damit gemeint ist. Solche Situationen nenne ich potentielle Gefahrensituationen. Am besten ist, dass man sich dabei auf sein Gefühl verlässt. Nichts ist schlimmer, als gegen seine Angst oder das besagte "mulmige Gefühl" mit aller Kraft anzukämpfen. Dieses Gefühl hat dem Menschen schon seit der Steinzeit das Überlegen gesichert. Es gilt also eher die potentielle Gefahrensituation zu vermeiden wo es geht. Wenn man z.B. anstatt der genannten dunklen Gasse lieber den Umweg über eine hell erleuchtete Straße nimmt, wo sich vielleicht sogar noch der eine oder andere Passant aufhält, dann gehört das bereits zum Vermeiden von Gefahrensituationen. Das ist keine Garantie dafür nicht angegriffen zu werden - man muss andererseits dem Angreifer auch nicht unbedingt optimale Bedingungen für einen Übergriff schaffen. Prinzipiell ist es so, dass der Mensch in verschiedenen Aufmerksamkeitsphasen seinen Alltag "bewältigt" nehmen wir einfach mal ein Beispiel zur Hilfe:

Es ist abends und wir befinden uns zu Hause. Hier ist der Aufmerksamkeitsfaktor am geringsten. Die eigenen vier Wände strahlen Sicherheit aus. Doch sobald wir das Haus verlassen wechseln wir in eine erhöhte Aufmerksamkeitsstufe. Auf dem Weg z.B. zur Kneipe oder ins Restaurant sind wir uns also unterbewusst im Klaren darüber, dass wir nun nicht mehr in einer uns vertrauten und sicheren Umgebung sind. Suchen wir jetzt z.B. mit Freunden eine uns unbekannte Kneipe auf wechselt unsere Aufmerksamkeit in eine noch höhere Stufe. Während wir den Weg vor unserer Tür kennen, ist uns das aufgesuchte Lokal völlig unbekannt - wir sind erst einmal vorsichtig. Sollte jetzt auch noch ein stark angetrunkener und muskulös gebauter Kerl laut pöbelnd zur Tür rein spaziert kommen, erkennen wir: hier braut sich womöglich eine echte Gefahrensituation zusammen. Uns wird unbehaglich und unser Instinkt sagt uns, dass wir das Lokal schnellstmöglich verlassen sollten. Wir fühlen uns einfach nicht wohl.

Das ist zumindest die Situation wie sie sein sollte. Leider handeln viele Menschen nicht nach diesem unterbewussten Empfinden. So bleiben sie in dem Lokal und hoffen insgeheim doch, dass sich die Situation entspannt. Einige wenige haben dagegen eine ganz bestimmte Strategie entwickelt: sie trinken einfach so viel Alkohol, dass sie sämtliches Empfinden für solche Situationen verlieren. Auf dem Weg zum Lokal oder nach Hause wird zu allem Überfluss noch der MP3-Player ohrenbetäubend laut gestellt, damit man auch ja nichts von seiner Umgebung wahr nimmt. Dazu am besten noch das konzentrierte Schreiben einer SMS und wir geben ein optimales Opfer für einen Angreifer ab: hört nichts, sieht nichts und läuft vielleicht auch nicht mehr ganz gerade aus.

Es ist also wichtig, dass wir unser Empfinden für gefährliche Situationen nicht ignorieren oder sogar versuchen es uns "ab zu trainieren". In unserer beschriebenen Situation führt das Verhalten neben der gesundheitsschädigenden Wirkung des Alkohols auch zu einer erhöhten Gefahr eines Angriffes auf die Gesundheit, da man kein Gefühl für die oben beschriebene Situation hat. Es gehört also auch zu einer Selbstverteidigungsstrategie seine Sinne möglichst klar zu lassen. Das heißt nicht paranoid zu werden. Bleiben wir bei dem oberen Beispiel. Dass man sich auf offener Straße nicht so sicher fühlt wie im eigenen Wohnzimmer sollte klar sein. Das hat ebenso wenig etwas mit Paranoia zu tun wie unsere Angst wenn wir den "2-Meter-Muskelmann" die Kneipe betreten sehen und auf dem Rückweg kann selbst das Weglassen eines Kopfhörers oder schlicht und einfach das Leiserstellen der Musik Wunder wirken. Wir sind aufmerksamer und unser Gehör dank es uns sicher auch.

Prävention und Deeskalation

Im Prinzip bin ich auf die Präventionshaltung jedoch schon eingegangen und dem aufmerksamen Leser ist vielleicht aufgefallen, dass die Kritik am Verhalten unserer Beispielperson auf dem Heimweg eigentlich schon Prävention ist. Sämtliche Bereiche der Selbstverteidigung gehen fließend ineinander über und überschneiden sich teilweise. Selbst das Vermeiden von potentiellen Gefahrensituationen ist schon Prävention. Eine Gewaltpräventionsmaßnahme ist also, sich in der Öffentlichkeit nicht komplett von dieser abzuschotten, wie in dem obigen Beispiel mit MP3-Player und SMS tippen. Angreifer suchen sich wohl eher nicht die Personen, die aufmerksam ihre Umgebung beobachten und dabei jedoch weder ängstlich noch paranoid wirken. Meistens werden diejenigen zu Opfern die genau das nicht tun. Diejenigen, welche ängstlich eine dunkle Gasse entlanggehen und schon durch ihre Körperhaltung Schwäche signalisieren, oder diejenigen, die einfach durch Musik und Handy so wenig von ihrer Umgebung mitbekommen, dass sie einen Angriff erst viel zu spät bemerkt werden würden. Eine möglichst offene Körperhaltung gepaart mit Aufmerksamkeit ist hier der Schlüssel. Auch sollte man in potentiellen Gefahrensituationen den MP3 Player besser sehr leise, oder noch besser ganz aus stellen und auch lange SMS Diskussionen können die paar Minuten bis zu Hause warten.

Man muss dabei bedenken, dass es zwar die klischeehaften Bilder von Angreifern gibt (2 Meter groß, muskulös und aggressiv) jedoch gibt es so viele verschiedene Menschen, dass es auch unterschiedlichste Typen von Angreifern und Angriffen gibt. Man sollte also seine Aktionen nicht an diesen Typen festmachen sondern stets an der aktuellen Situation. Somit ist natürlich das obige Beispiel zwar durchaus realitätsnah, aber dennoch überspitzt dargestellt. Doch wir bleiben vorerst dabei:

Nehmen wir einfach mal an, wir verlassen das Lokal nicht und mustern den Eintretenden erst einmal sorgfältig mit einem abwertenden Gesichtsausdruck der Bände spricht. Wir verhalten uns damit schon nicht mehr präventiv. Um einzuschätzen ob man sich einer Situation entziehen sollte braucht man nur wenige Sekunden - das ist schon evolutionär bedingt durch unser früheres Dasein als Jäger und Sammler. Sobald man anfängt jemanden genauer zu mustern kann dieser das bereits als Aggression werten. Das ist sicherlich übertrieben, aber es gibt diese aggressiven Persönlichkeiten also müssen wir damit umgehen und uns dessen bewusst sein. Wenn diese Personen dann auch noch auf eine zu große Menge Drogen wie Alkohol oder aber auch illegale Drogen treffen multipliziert sich diese Aggressivität nochmal und schon kann ein einfacher Blick ausreichen und die Situation an den Rand einer Eskalation bringen.

Es gehört zur Deeskalation das Nachgeben zu lernen. Nachgeben zu können ist ein ganz wesentlicher Punkt: nicht auf Provokationen einzugehen, Beleidigungen abprallen zu lassen und sich schnellstmöglich der Situation zu entziehen ist nicht einfach, denn der Angreifer denkt dadurch er hat den verbalen Kampf gewonnen und euch gekränkt. Möglicherweise denkt ihr das sogar selbst. Es ist auch keine Schande gegebenen Falls rechtzeitig die Straßenseite zu wechseln, um einer erkannten Gefahr auszuweichen. Man muss auch nicht die verrufenste Disco zu seiner Stammdisco machen, oder zu fortgeschrittener Stunde in der miesesten Gegend joggen gehen.

"Wahrhaft siegt wer nicht kämpft"
- Sun Tsu -

Wer nicht kämpft kann nicht verlieren. Und selbst wenn der Angreifer bei einer verbalen Attacke aus seiner Sicht siegreich hervorgeht, gewinnt ihr doch etwas ganz bedeutendes: nämlich eure körperliche Unversehrtheit die ihr vielleicht hättet verloren, wenn die Situation eskaliert wäre. Gerade bei Beleidigungen ist es oftmals so, dass der Beleidigte den Schlüssel dazu in der Hand hat, ob eine Situation eskaliert oder nicht. Die meisten Situationen werden allerdings entschärft, wenn man nicht auf die Beleidigung anspringt und sich der Situation stattdessen entzieht.

"Es geht nicht immer darum zu siegen. Es geht darum zu überleben"
 - Rob Zwartjes, 9. Dan Wado-Ryu sinngemäß zum Thema Selbstverteidigung

Jedoch sind lang anhaltende Angriffe auf die seelische Unversehrtheit, auch als Mobbing bezeichnet, nicht hinzunehmen. Auch die Verteidigung gegen seelische Angriffe gehört zur Selbstverteidigung. Wir bleiben jedoch erst einmal bei den verbalen Angriffen welche möglicherweise einem körperlichen Angriff vorausgehen.

Also angenommen man bedroht uns nun nicht mit Beleidigungen sondern auf Grund einer Nichtigkeit oder ohne ersichtlichen Grund, wie in unserem ersten Beispiel. Wir werfen dem "Hünen" einen Blick zu, der für sein Erachten zu lange dauert. Er wird auf uns aufmerksam und bedroht uns. Jetzt gilt es Ruhe zu bewahren! Nichts ist jetzt schlimmer als überheblich zu wirken oder sofort eine provokante Kampfstellung einzunehmen. Besänftigung und Deeskalation lautet jetzt der nächste Schritt: "Ganz ruhig, ich werde woanders hingucken. Es ist ja nichts passiert." Kommt er näher, sollte man deutlicher werden:

"Stopp! Kommen Sie nicht näher!"

Dieser Satz ist ganz wichtig. Er ist verständlich, kurz und befehlsartig formuliert.

Ich kann sagen "Bleiben Sie bitte stehen und kommen sie nicht näher auf mich zu da ich dies als Bedrohung werte." Ich kann auch sagen "Würden Sie bitte nicht näher auf mich zukommen, das ist unangenehm für mich". Diese Sätze sind das genaue Gegenteil von den 3 Attributen die ein solcher Satz haben muss. Der Erste wirkt fast schon auffordernd, du sagst in gewisser Weise, dass du dich verteidigst wenn er näher kommt. Solche Leute die sogar schon Blicke als Aggression werten nehmen das sicher zu gerne als Aufforderung an. Außerdem ist er sprachlich zu anspruchsvoll. Der zweite Satz ist als Frage formuliert und damit keine Aufforderung mehr. Es ist mehr ein "Angebot". Dem Gegner Angebote zu machen ist nicht das Ziel der Deeskalation - Ziel ist es unversehrt zu bleiben und einen Kampf zu vermeiden. Beide Sätze sind außerdem zu lang.

Sagen wir stattdessen "Stopp! Kommen Sie nicht näher" handelt es sich eindeutig um eine Forderung. Kurze, prägnante Kommandos werden ebenfalls von angetrunkenen oder allgemein unter Drogen stehenden Leuten noch eher verstanden. Du kannst und solltest falls er dennoch näher kommt deiner Forderung nochmals Nachdruck verleihen. Mache umstehende Personen darauf aufmerksam, dass du keinesfalls Gewalt anwenden willst. "Stopp! Ich will nicht mit Ihnen kämpfen!".

Kommt er nun noch näher ist die Phase der Prävention und Deeskalation jedoch beendet und du wirst zur technischen Selbstverteidigung übergehen müssen. Jetzt gilt es nicht weiter zu versuchen zu reden - jetzt musst du handeln. Gerade das ist unheimlich wichtig und zugleich ist es auch schwierig den Punkt zu finden, an der weiteres Reden sinnlos ist.

Rechtliches zur Notwehr

Es ist zu beachten, dass sämtliche folgenden oder vorangegangenen Informationen nicht die Rechtsberatung durch einen Anwalt ersetzten können. Ansprüche können daraus nicht abgeleitet werden.

§ 32 StGB Notwehr

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Es gibt einige rechtliche Grundlagen, die es in der Selbstverteidigung zu beachten gilt. In einer Situation die eventuell bedrohlich für das eigene Leben werden kann herrscht aus rechtlicher Sicht keine Narrenfreiheit. Sowohl die Ausführungen zur Notwehr, als auch zum Notstand (§§ 34 und 35 StGB) machen deutliche Einschränkungen. So ist von einem "gegenwärtigen rechtswidrigem Angriff" die Rede, oder, dass die Tat ein "angemessenes Mittel" sein muss um den Angriff abzuwehren. Bloßes Zurückschlagen aus Wut schließt das nicht ein. Ebenso müssen die Abwehraktionen angemessen sein. Wer die Gesetzestexte vollständig nachlesen möchte, kann dies im entsprechenden Gesetzestext tun.

Sicherlich sollte man sich im Ernstfall zuerst Gedanken über sein Leben und erst danach über mögliche rechtliche Konsequenzen machen, doch die nötige Angemessenheit zu wahren gebietet eigentlich schon die Vernunft. Im Zweifelsfall ist es das vermeintliche Opfer, welches nur aus Notwehr gehandelt hat, was nachweisen muss, dass wirklich ein entsprechender Angriff vorgelegen hat. Potentielle und verlässliche Zeugen zu sichern kann daher äußerst wichtig werden.

Daher ist es umso wichtiger die notwendige Verhältnismäßigkeit bei allen Aktionen zu wahren. Man sollte immer daran denken: wenn durch die Notwehr beim Angreifer so starke körperliche Schäden entstehen, dass eure kleine Schramme über dem Auge dagegen fast schon lächerlich wirkt, wird sich wohl jeder Richter damit schwer tun euch zu glauben, dass ihr das arme, unschuldige Opfer ward, was sich nur mit Mühe gegen den brutalen Angreifer zur Wehr setzten konnte. Die Angemessenheit der Mittel richtet sich unter anderem nach der Art und Weise und den Umständen des Angriffs. Fragen wie:

Sind mehrere Angreifer vorhanden? War der Angreifer sichtbar körperlich überlegen? Werden Waffen eingesetzt? Erfolgte die Abwehr im Affekt, aus Panik...? Wer wird angegriffen - eine Frau, ein Kind/Jugendlicher, ein kampfsportlich geschulter Mensch...? Wann und Wo findet der Angriff statt?

haben eine entsprechende Bedeutung für die nachträgliche Beurteilung. Allerdings seid ihr nicht in der Pflicht den Angreifer darauf aufmerksam zu machen, dass ihr Kampfsportler seid - das solltet ihr auch tunlichst vermeiden um nicht zusätzlich zu provozieren; wenn der Angreifer den Kampf dann verliert trägt er die Schuld und nicht ihr weil ihr nicht gesagt habt das ihr Karate oder Ähnliches lernt.

Theorie der Technik

Der technische Teil ist derjenige den man am besten trainieren kann. Er macht jedoch in der Realität der Selbstverteidigung nur sagen wir ca. 10 % aus. Die restlichen 90 % nehmen präventives Verhalten, Deeskalation und Umsicht ein. Jedoch haben diese 90 % der Selbstverteidigung sehr viel mit Wissen, Verständnis, Erfahrung und der einfachen Bereitschaft zu tun das theoretische Wissen anzuwenden. Man kann stundenlang über Prävention und Deeskalation reden, wenn man dieses Wissen jedoch nicht anwendet, ist es letztendlich nutzlos. Bei den letzten 10 %, also der Technik, ist Theorie nur ein Teil. Ich muss nicht nur wissen was ich jetzt rein theoretisch machen könnte wenn jemand mit erhobener Faust auf mich zu rennt, ich muss es praktisch anwenden können. Das ist bei der Technik bedeutend schwieriger, daher macht sie im praktischen Selbstverteidigungstraining den größten Teil aus. Das Studium von Selbstverteidigungsliteratur bringt also sicher etwas um sich die Theorie anzueignen, aber um Techniken praktisch zu üben ist das der denkbar ungeeignetste Weg. Sich mit Gewalt zu verteidigen ist stets die Ausnahme. Sollte es allerdings erforderlich werden muss die Technik mit allem Nachdruck und Ernst erfolgen. Wenn eine Technik angewendet wird, dann mit 100 % Einsatz. Bist du dir nicht sicher, ob Du deinen Gegner verletzen solltest oder mit dieser Technik verletzen solltest, dann lass es - und nimm die Beine in die Hand. Irgendwelche halbherzigen Aktionen deinerseits machen ihn nur noch wütender. Es ist daher sehr wichtig die Techniken mit 100 % Leistung einzusetzen. Die technische Selbstverteidigung erfüllt in vielen Fällen nur den Zweck, dass sie uns die Lücke schaffen soll, um eine Flucht zu ermöglichen. Denke aber immer daran, bist du erst einmal in dieser Phase der Selbstverteidigung angekommen geht es schlicht und ergreifend darum verletzt zu werden oder unversehrt zu bleiben bzw. sogar um Leben oder Tod.

FLUCHT

Das ist einer der zentralen Begriffe der Selbstverteidigung. Wird eine Situation zu gefährlich oder verspürst du Angst, dann flüchte! Ist Flucht nicht möglich verschaffe dir durch gelernte Verteidigungsmöglichkeiten ein kurzes Zeitfenster und nutze dies bei erstbester Gelegenheit zur Flucht. Auch hier geht es nicht darum den Kampf zu gewinnen, es geht darum sich selbst ausreichend Zeit zur Flucht zu verschaffen. Wenn du bedenkst, dass du ja überhaupt nicht kämpfen willst, also überhaupt keine Gewalt anwenden willst (und das setzte ich einfach voraus, denn ohne diese Grundeinstellung wird Selbstverteidigung nicht funktionieren) dann geht es nur darum, so schnell wie möglich und so unverletzt wie möglich dem Kampfgeschehen zu entkommen.

Warum spreche ich von Selbstverteidigungsmöglichkeiten? Eines gibt es in der Selbstverteidigung nicht - und das sind Garantien. Es kann dir keiner garantieren, dass deine Deeskalationsstrategie funktioniert. Es kann dir keiner garantieren, dass eine bestimmte Technik in deiner bestimmten Situation funktioniert. Tatsache ist jedoch: sämtliche Techniken die wir lernen funktionieren auch - nur eben nicht in jeder annehmbaren Situation. Das ist nicht nur bei uns so, sondern auch in sämtlichen anderen Selbstverteidigungssystemen. "Die Technik XY funktioniert" heißt eben nicht, dass die Technik XY auch in deiner konkreten Situation funktioniert, sondern dass die Technik in einer begrenzten Menge von bestimmten Situationen funktioniert. So wie es keine Garantien gibt, so gibt es auch keine perfekte Technik, keine "todsicheren Universaltechniken", keine Technik die immer funktioniert.

"Die Technik der Kampfkünste ist, dem Universum gleich, unerschöpflich. Sei dir im Klaren, dass es keine vollkommen ausgereifte Technik gibt."
 - Ohtsuka Hironori, Gründer des Wado-Ryu -

Deswegen wirst du im Selbstverteidigungstraining verschiedenste Selbstverteidigungsmöglichkeiten für eine Situation lernen und üben. Welche dann anzuwenden ist, beruht auf Wissen um die Funktionsweise der Technik, dem Übungsgrad und vor allem der Erfahrung. Überlege nicht welche Technik die richtige ist, handle instinktiv. Genau dieses instinktive Handeln ist es, was als die hohe Kunst in sämtlichen Kampfkünsten gilt. Und wie bei allen hohen Künsten erreicht man sie nur durch regelmäßiges, konzentriertes und langjähriges Training.

Art des Trainings

Regelmäßiges und konzentriertes Training. Wiederholung von immer denselben bereits bekannten Techniken ehe eine neue Technik gelehrt wird. Das klingt nicht besonders einfach und spaßig. Genau das haben sich auch andere Leute vor dir gedacht und daher entstanden die verschiedensten Selbstverteidigungskurse. Ich rede dabei nicht über die Art von Kursen, welche das Interesse an Selbstverteidigung und/oder Kampfkunst wecken sollen, damit sich mehr Menschen nachhaltig mit Selbstverteidigungstraining beschäftigen. Ich rede von der Art Kursen die sinngemäß versprechen "Lernen Sie innerhalb eines halben Jahres wie Sie sich gegen sämtliche Angriffe verteidigen" das ganze kostet dann auch nur die Kleinigkeit von ein paar hundert Euro - natürlich mit Geld-Zurück-Garantie (komisch, wo es doch gar keine Garantien geben kann...).

Genau diese Art von Kursen ist es die unseriös ist. Selbstverteidigung gegen alle Angriffe ist, wenn nicht gar unmöglich, zusammen mit dem instinktiv-natürlichen Handeln, die hohe Kunst. Verspräche dir jemand, dass du innerhalb von ein paar Monaten oder sogar innerhalb von 3 Wochenenden in einem Crash-Kurs so gut Fußball, Handball oder Volleyball spielen lernst, dass du sämtliche Weltklassespieler mühelos schlägst, dann wärst du doch mit Sicherheit misstrauisch und würdest diesem Angebot keinen Glauben schenken. Komischerweise glauben viele jedoch, dass das bei Selbstverteidigung funktioniert.

Sicherlich kannst du an solchen Kursen auch teilnehmen doch du wirst das Niveau eines Anfängers nicht überschreiten. Übertragen auf die Selbstverteidigung heißt das, du erlernst vielleicht innerhalb eines halben Jahres die theoretischen Kenntnisse und dazu einige grundlegende Techniken für Standardangriffe. Vielleicht kannst du damit den einen oder anderen einfachen Angriff, zumindest aber nicht jeden Angriff, überstehen doch nach ein paar Monaten hast du das gelernte bereits wieder verdrängt. Wie gesagt, ein längeres Training kann dir auch keine Garantien bieten, so etwas gibt es hier schlicht und ergreifend nicht. Jedoch gewinnst du im regelmäßigen Training Einblicke in die unterschiedlichsten Selbstverteidigungsmöglichkeiten und übst diese, damit hast du in einer realen Situation dann mehr Möglichkeiten und vergisst diese auch nicht so schnell. Selbstverteidigung ist, so man es denn möchte, ein lebenslanger Lernprozess. Ziel ist nicht, perfekt zu werden. Ziel ist es zu trainieren.

"Der Weg ist das Ziel"

Wenn du Selbstverteidigung lernen willst, suche dir einen Kampfkunstverein in deiner Nähe, der dir nicht das "blaue vom Himmel" verspricht. Der Verein sollte kostenlose Probetrainingsmöglichkeiten anbieten, sodass du einen Einblick in das Training erhalten kannst. Selbst trainieren ist immer noch etwas anderes als nur zuzusehen. Und im eigenen Interesse, bitte immer daran denken: funktionierende Kurse die versprechen dich innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes zum "Superkämpfer" zu machen gibt es nicht. Wie wird Selbstverteidigung nun aber z.B. bei uns und eigentlich auch in vielen anderen Karatevereinen trainiert?

Selbstverteidigungstechniken sind neben Kihon, Kata und Kumite eine der Hauptübungskategorien im Karate. Es scheint nun so, dass das Üben von Kihon und Kata in erster Linie nicht den Anschein macht, irgendetwas Sinnvolles für reale Selbstverteidigung zu bieten. Es kann sogar sein, dass du zu einem Training kommst und diese Einheit "nur" Kihon, Kata und Kumite trainiert werden. Es ist schließlich nicht jede Trainingseinheit gleich. Denkt man diesen Gedanken weiter, könnte man sich sogar fragen warum Karate als "angewandte Selbstverteidigung" wirbt. Wenn man aber etwas genauer hinsieht erkennt man, dass man durch das Training dieser Grundformen einige ganz wichtige Fähigkeiten erlernt. Neben Körperbeherrschung und dem auch in der Selbstverteidigung äußerst wichtigem Körpergefühl ist das vor allem "Kime" - also die Fähigkeit die Kraft einer Technik auf einen Punkt zu konzentrieren. Diese Karatedisziplinen legen also gewissermaßen die Grundlagen für das relativ freie Training von Selbstverteidigungstechniken. Auch das Grundverständnis was einen sicheren Stand ausmacht sind äußerst wichtig und werden in den Grunddisziplinen Kihon und Kata gelegt.

Die Erfahrungen belegen dies ebenfalls. Wenn Karatetraining an sich nichts für Selbstverteidigung bieten sollte, dann stünde dies der praktischen Erfahrung entgegen, dass höhere Karateka im Training tendenziell auch freier in der Anwendung ihrer Möglichkeiten sich zu verteidigen sind, als Leute die erst vor kurzem mit Selbstverteidigung begonnen haben. Man bekommt ein Gefühl für seinen Körper, seine Schwachpunkte und Techniken und ist damit in der Lage viel freier zu trainieren.

Auch das Training von Freikampf bietet keine direkte Selbstverteidigungsübung, da hier nach strengen Regeln und ohne vollen Kontakt (also ohne K.O.) gekämpft wird, Regeln die es auf der Straße nicht gibt. Jedoch trainiert der Freikampf etwas noch Essentielleres: Die Fähigkeit mit Angst umzugehen. Man weiß im Freikampf zwar, dass nur wenige ausgewählte Techniken angewandt werden dürfen, doch ansonsten ist der Partner völlig frei in seiner Technikwahl was dazu führt, dass man nicht weiß welcher Angriff nun wirklich kommt. Und dennoch muss man angemessen reagieren - eine Situation die der Realität vielleicht schon etwas näher kommt. Natürlich in einer abgeschwächten Form da es nicht um Leben oder Tod geht, doch schmerzhaft können Treffer in großen Kumite Wettkämpfen dennoch sein.

Im angesprochenen Selbstverteidigungstraining werden dann die verschiedensten Situationen geübt. Ein Partner übernimmt dabei den Part des Angreifers der andere verteidigt. Dabei wird anfangs die Technik vorgegeben um neue Techniken zu lernen. Später wird das dann immer freier sodass z.B. auf einen Angriff die verschiedensten Selbstverteidigungsmöglichkeiten gezeigt werden sollen. Das geht irgendwann in einen lockeren Kampf über in dem die möglichen Angriffstechniken vorgegeben werden aber der Angreifer frei in der Wahl der Technik ist - so weiß man nicht sofort ob denn jetzt ein Schwinger kommt, ein Würgeangriff oder der Versuch den Gegner zu packen - all das kommt jedoch erst im fortgeschrittenen Training, der Anfänger wird damit noch nicht konfrontiert ehe die Grundlagen gelegt sind. Selbstverteidigung gehört einfach zum Karate dazu, es ist schließlich das letztendliche Ziel des Karate neben der charakterlichen Vervollkommnung. Daher findet sich in jeder Prüfung ab einschließlich des Orangegurtes auch Selbstverteidigung als Prüfungsfach in dem einzelne Techniken gezeigt werden müssen. Bei Fortgeschrittenen kann dann auch etwas freier Selbstverteidigung präsentiert werden.

Für Kinder und Jugendliche kommen daneben noch verschiedenste Selbstbehauptungsübungen dazu, die insbesondere Schlüsselfähigkeiten wie Kommunikation und laute Artikulation trainieren. (ja auch das Schreien will gelernt sein...)

Nicht zuletzt vermittelt Karate als angewandte Selbstverteidigung mit fortschreitendem Trainingsstand Werte, die sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene in ihrer Persönlichkeit reifen lassen und ihnen im täglichen Leben helfen ihre Aufgaben besser zu meistern. Auch die Selbstverteidigung profitiert davon. So gehört hier insbesondere der Respekt vor dem Recht auf körperliche Unversehrtheit zu den Werten, die durch ernsthaftes Karatetraining geschult werden. Ebenso profitieren die Trainer davon wenn ihre Schüler sie mit Situationen konfrontieren und Rat suchen - so entsteht ein noch besseres Training.

Unserer Meinung gute Literatur findet man in der Rubrik "Literatur" unter Karate-Dô auf unserer Seite. Die Hinweise in der Rubrik Selbstverteidigung auf der Seite sind jedoch zu beachten. Die in den Büchern aufgeführten Techniken ohne fachkundige Anleitung zu üben oder "auszuprobieren" kann allerdings zu ernsten und möglicherweise auch bleibenden Schäden führen. Nicht zu vergessen, dass sie sowieso regelmäßig trainiert werden müssen und es jemanden braucht, der die Techniken korrigieren kann und dieser jemand muss Ahnung davon haben.

 

So, wenn du wirklich bis hier gelesen hast - meinen Respekt :-) Damit hast du schon mal die wichtigste Voraussetzung um mit dem Training zu beginnen - Interesse. Aber selbst wenn du Abschnitte übersprungen hast, ist das kein Problem vieles kommt mit der Zeit und das Lesen dieses Textes ist mit Sicherheit keine Aufnahmebedingung. Keine Angst, bei uns wird keiner "zusammengehauen", Karateka sind keine Schläger das sollte aus dem Text hervorgegangen sein, prinzipiell lehnen wir wie die meisten Menschen die Gewaltanwendung ab. Also am besten kommst du einfach mal bei einem Training vorbei und überzeugst dich selbst davon.

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